maandag, juni 26, 2006

Alexander Dugin, die Faschismusfrage und der russische politische Diskurs door Andreas UMLAND in Russlandanalysen 105/06.

Zusammenfassung

In den vergangen Monaten kann man eine erfreuliche Sensibilisierung der russischen Öff entlichkeit gegenüber Skinhead-Attacken und nationalistischer Propaganda beobachten. Dessen ungeachtet bleibt das Verhältnis der Putinadministration und der kremlgesteuerten Massenmedien zu xenophoben Tendenzen in Politik und öff entlicher Diskussion zweideutig. Während primitiver Fremdenhass und Gewaltaktionen öffentlich stigmatisiert werden, nimmt die Verbreitung insbesondere antiamerikanischer Stereotypen durch die Massenmedien und politische Publizistik ungehindert ihren Fortgang. So spielt etwa der Publizist Alexander Dugin, der in den neunziger Jahren off en profaschistisches Ideengut propagierte, im Diskurs der russischen politischen Eliten heute eine wichtige Rolle. Es dürfte interessant sein zu beobachten, wie die russische Führung in den kommenden Jahren mit den daraus erwachsenden Herausforderungen an die Innen- und Außenpolitik umgehen wird.



Eine neue Sensibilität für Rechtsextremismus ?

Angesichts der Häufung gewalttätiger Übergriffe und anderer ausländerfeindlicher Aktionen erlebt die Diskussion um russischen Faschismus derzeit ein neues Hoch in den Massenmedien der Russischen Föderation (RF). Eine ähnliche Debatte hatte es Mitte
der 1990er gegeben, als die Konfrontation zwischen Präsident Jelzin und der „unversöhnlichen Opposition“, bürgerkriegsähnliche Zustände in Moskau, Wladimir Shirinowskijs Aufstieg, das Auftauchen neonazistischer Parteien, der Erste Tschetschenienkrieg usw. den Begriff vom „Weimarer Russland“ prägten.

Obwohl dieses Konstrukt in den Kommentaren der letzten Monate seltener auftaucht, ist auch die aktuelle Mediendebatte von Alarmismus und Aktionismus gekennzeichnet. Immerhin ist zu begrüßen, dass die russische Öffentlichkeit, die die wachsenden rechtsextremistischen Tendenzen in der Parteienlandschaft und Jugendkultur über Jahre hinweg weitgehend ignoriert hatte, diese nun zumindest teilweise zur Kenntnis
nimmt und Gegenmaßnahmen diskutiert. Selbst die an und für sich als nationalismusfreundlich bekannte russische Justiz beginnt, sich dem Druck der öff entlichen Meinung bzw. der Präsidialadministration zu beugen, und wendet, im Vergleich zur Praxis der neunziger Jahre, den Fremdenhassparagraphen des russischen Strafgesetzbuches häufi ger an. Ebenfalls hoffen lassen die scharfen Reaktionen staatlicher Organe z.B. auf einen xenophoben Werbespot des „Rodina“-Blocks im Vorfeld der Wahlen zum Moskauer Stadtparlament 2005 oder das Vorgehen gegen die oft tödlich endenden Skinhead-Attacken auf Immigranten und Gaststudenten. In diesbezüglichen offiziösen Darstellungen wird zuweilen auf das „antifaschistische“ Erbe der Sowjetunion verwiesen und eine im Russentum verwurzelte besondere Resistenz gegenüber dem Faschismus beschworen.

Uneindeutige Reaktionen

Trotz solcher ermutigenden Anzeichen bleibt das Verhältnis der kremlkontrollierten zentralen Massenmedien zu den rechtsextremen Tendenzen insgesamt ambivalent. Während manifester Antisemitismus und gewaltbereiter Rassismus nunmehr massive Kritik und demonstrative Stigmatisierung erfahren, sind andere xenophobe Denkmuster in der Auslandsberichterstattung und weltpolitischen Kommentaren weiter präsent bzw. verstärken sich. Dies betrifft neben den klassischen antiwestlichen, -baltischen, -ziganistischen und -polnischen Reflexen zunehmende ukraino- und kaukasophobe – derzeit insbesondere antigeorgische – Stereotypen. Den unbestrittenen Spitzenplatz unter den von den russischen Staatsmedien projizierten „Feinden Russlands“ nehmen die Vereinigten Staaten ein. Der immer primitivere und tiefergehende Antiamerikanismus in politischen Fernsehsendungen wie „Odnako“ (Michail Leontjew),
„Tschelowek i sakon“ (Alexei Pimanow), „Realnaja politika“ (Gleb Pawlowskij) oder „Post Scriptum“ (Alexei Puschkow) steigert sich in ein manichäisches Weltbild, in dem die USA für den Großteil der Missgeschicke und Fehlentwicklungen der jüngsten russischen, ja Weltgeschichte verantwortlich gemacht werden und in welchem die amerikanische Gesellschaft zum negativen Anderen der russischen Zivilisation mutiert. Kurioserweise wird jener Staat, welcher Russland in der jüngsten Geschichte am meisten Leid zugefügt hat, Deutschland, von dieser paranoid gefärbten Wahrnehmung der Außenwelt ausgenommen und, wohl nicht zuletzt aufgrund der persönlichen Neigungen Putins, zum kollektiven Freund der Russen stilisiert (ein Zerrbild, das freilich auch durch das unorthodoxe Verhalten von Exkanzler Schröder genährt wurde).

Letztlich ist anzumerken, dass trotz zunehmender Verurteilung rechtsextremistischer Tendenzen, Repräsentanten der als putinfreundlich geltenden nationalistischen politischen Gruppierungen, allen voran Shirinowskijs sogenannte Liberal-Demokratische Partei, von den kremlgesteuerten Diskreditierungs kampagnen verschont geblieben sind, obgleich viele Statements von Shirinowskij und Konsorten (man denke etwa an sein berüchtigtes Pamphlet „Der letzte Sprung nach Süden“) ebenfalls geeignet sind, Fremdenhass in der Bevölkerung zu schüren.

Verirrungen der Intelligenzija

Neben derlei Tendenzen in Debatten der breiten Öffentlichkeit, gibt es ähnlich widersprüchliche Entwicklungen im Elitendiskurs und der politischen Publizistik. Einerseits wird von der politischen Spitze die Integration Russlands in westliche Organisationen, wie die G 8-Gruppe oder Welthandelsorganisation, vorangetrieben. Andererseits sind heutige politische Expertendiskussionen sowie das intellektuelle Leben insgesamt von einem sich ausbreitenden antiwestlichen, häufig als „eurasisch“ bezeichneten Konsens geprägt, dessen Grundtenor ist, dass Russland „anders“ als die USA sei bzw. gar im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten existiere. Der russische Buchmarkt erlebt eine Schwemme von politischen Schmähschriften, die von unverhohlenem Amerikahass, abstrusen Verschwörungstheorien, pathologischen Weltuntergangsängsten und bizarren Neugeburtsphantasien geprägt sind. Zu den mehr oder minder weit gelesenen Autoren derartiger Machwerke zählen – neben vielen anderen – Sergej Kurginjan, Igor Schafarewitsch, Oleg Platonow, Maksim Kalaschnikow (alias Wladimir Kutscherenko) und Sergej Kara-Mursa.

Der wahrscheinlich bekannteste derartige Publizist ist Dr.sc.pol. Aleksandr Dugin (1962 geb.) – Gründer, Ideologe und Vorsitzender der sogenannten Internationalen Eurasischen Bewegung, deren „Höchster Rat“ sich mit der Mitgliedschaft des Ministers für Kultur der RF Aleksandr Sokolow, Vizevorsitzenden des Föderationsrates der RF
Aleksandr Torschin, mehrerer Botschafter und ähnlich illustrer Figuren schmückt, darunter auch einige westliche Intellektuelle und GUS-Politiker. Dugins wachsende Prominenz ist insofern bemerkenswert, als der „Neoeurasier“ nicht nur als der einflussreichste, sondern auch unverschämteste unter seinen ultranationalistischen
Publizistenkollegen gelten darf. Während sich Autoren wie Kurginjan oder Kara-Mursa in ihren Traktaten auf eine Wiederbelebung klassischer russischer antiwestlicher Ressentiments und untergründige Anleihen an westliche Quellen beschränken, gibt Dugin offen zu, dass nichtrussische antidemokratische Konzepte, etwa solche des europäischen integralen „Traditionalismus“ (René Guénon, Julius Evola, Claudio Mutti, etc.) sowie der westlichen Geopolitik (Alfred Mahen, Halford Mackinder, Karl Haushofer u.a.), deutschen „Konservativen Revolution“ (Carl Schmitt, Ernst Jünger, Arthur Moeller van den Bruck usw.) und frankophonen „Neuen Rechten“ (Alain de Benoist, Robert Steuckers) zu seinen Hauptquellen zählen.

Mehr noch: in den neunziger Jahren hat Dugin wiederholt seine Sympathien für ausgesuchte Aspekte des Italofaschismus und Nazismus, unter anderem für die Waffen-SS und das Institut „Ahnenerbe“, angedeutet und das Dritte Reich als bislang konsequenteste Inkarnationen des von ihm bevorzugten „Dritten Weges“ charakterisiert. Im Kapitel „Faschismus – grenzenlos und rot“ der WWW-Version seines 1997 erschienenen Buches „Tampliery Proletariata“ (Die Tempelritter des Proletariats) gab er der Hoffnung Ausdruck, dass nach der inkonsequenten Umsetzung ursprünglich richtiger Ideen durch Hitler, Mussolini usw. im postsowjetischen Russland nun ein „faschistischer Faschismus“ erstehen würde. In Dugins apokalyptischer Weltsicht stellt sich die Weltgeschichte als jahrhundertealte Konfrontation zwischen hierarchisch organisierten „eurasischen“ Landmächten und liberalen „atlantischen“ Seemächten dar. Diese Auseinandersetzung auf Leben und Tod wird heute zwischen Russland und den USA, als Hauptrepräsentanten der beiden antagonistischen Zivilisationstypen, ausgetragen und nähert sich nun ihrem „Endkampf“ (ein Wort, das bei Dugin in Deutsch, ohne Übersetzung ins Russische erscheint).

Derlei profaschistische Stellungnahmen müssten eigentlich dazu führen, dass Dugin und andere rechtsextreme Publizisten, die sich vergleichbar äußern, ähnlich öff entlich stigmatisiert werden, wie dies derzeit mit den neonazistischen Parteien und
Skinheadgruppen geschieht. Das war bisher jedoch kaum der Fall. Vielmehr sind Dugin & Co., wie etwa der bekannte Chefredakteur der wichtigsten ultranationalistischen Wochenzeitung Russlands „Sawtra“ (Morgiger Tag), Aleksandr Prochanow, gern gesehene Gäste bei politischen Abendsendungen wie „Wremena“ (Wladimir Posner), „Tem wremenem“ (Alexander Archangelskij), „Woskresnyj wetscher“ oder „Kbarjeru“ (Wladimir Solowjow), ja teilweise bei populären Nachmittagstalkshows wie „Pust goworjat“ (Andrej Malachow).

Das postsowjetische Faschismusverständnis

Dass Dugin bislang von kremlgesteuerten Journalisten und seinen politischen Konkurrenten weitgehend „verschont“ wurde, hängt nicht nur damit zusammen, dass er sich in letzter Zeit als „radikaler Zentrist“ und fanatischer Putin-Anhänger profiliert und es vermocht hat, Sympathien bei prominenten Repräsentanten der russischen Legislative und Exekutive zu wecken. Dugin ist es auch gelungen, dem
Faschismusvorwurf zu entgehen, indem er seine Schriften und öff entliches Image mit dem verzerrten, von der sowjetischen Propaganda geerbten Faschismuskonzept abgestimmt hat. Im postsowjetischen Diskurs wird der dem Italienischen entstammende
Begriff „Faschismus“ mit dem deutschen Nazismus und seinen äußerlichen Symbolen, wie Hakenkreuz und Hitlergruß, gleichgesetzt. Teilweise geht die propagandistische Nutzung des Faschismusbegriffs so weit, dass er auf alle als „antirussisch“ angesehene Ideen angewandt wird und sich damit unversehens zum rhetorischen Instrument in xenophoben Hetzkampagnen russischer Ultranationalisten wandelt.

Dugins Beispiel illustriert, dass es angesichts eines solchen verengten Faschismusverständnisses genügt, sich mit Lippenbekenntnissen von den schlimmsten Verbrechen des Dritten Reiches zu distanzieren sowie ein allzu offenes Kopieren der nazistischen Symbolik zu vermeiden, um einer öff entlichen Stigmatisierung als „Faschist“ zu entgehen. Dies zumindest würde erklären, warum einerseits manifest neonazistische Gruppierungen, wie die „Russische Nationale Einheit“ Alexander Barkaschows sowie die Skinhead-Banden, von der Exekutive und inzwischen auch Judikative lautstark verfolgt werden, andererseits jedoch rhetorisch nicht minder radikale ultranationalistische Publizisten geduldet sind, ja sich in öffentlichen Foren und den staatlich kontrollierten Massenmedien ungehindert präsentieren können bzw. scheinbar sogar eine aktive Rolle in diversen Projekten kremlnaher Polittechnologen zugewiesen bekommen haben.

1984 – Déjà vu

Ein weiterer Faktor, der Dugin & Co. begünstigt, scheint die Rückkehr der russischen Führung zu quasi orwellschen öff entlichen Diskursformen zu sein. Von der Präsidialadministration ferngesteuert, hangelt sich die politische Berichterstattung in den Massenmedien von einem nationalpatriotischen Happening zum anderen. Ob Russland-China-Gipfel oder der Olympiadeauftritt russischer Sportler, ob „Orange Revolution“ oder der Kassenerfolg eines russischen Fantasyfi lms im Ausland – internationale Ereignisse jedweder Art werden zum kollektiv errungenen Triumph oder zur gemeinsam erlittenen Erniedrigung der russischen Nation und ihrer getreuen Führung aufgebauscht.

Die damit einhergehende Verflachung und Emotionalisierung öffentlicher politischer Debatten, die manchmal in kuriosen Schreiwettkämpfen zwischen Teilnehmern politischer Fernsehdiskussionen endet, verdrängt ernsthafte Analyse. Politische
Kommentare sind auf das „Hier und Heute“ fixiert, was im Falle Dugins dazu beigetragen haben mag, dass sein eigentlich bekanntes neofaschistisches Auftreten in den Neunzigern „vergessen“ wurde. Die mit der propagandistischen Ausrichtung der Auslandsberichterstattung einhergehende gebetsmühlenartige Verunglimpfung des Westens erweitert zudem sukzessive den Raum für radikale Losungen und Lösungen,was ebenfalls die gesellschaftliche Position Dugins und ähnlich orientierter Theoretiker stärkt.

Ausblick

Wird die neugewonnene Sensibilität gegenüber nationalistischen Tendenzen zu einer nachhaltigenRückbesinnung auf tolerante und weltoffene Aspekte in der russischen politischen Tradition führen ? Oder bleibt die jüngste Tendenz eine bloße Episode in den wechselhaften Medienkampagnen der Putinadministration ?
Es lassen sich zwei gegenläufi ge Trends – ein ideologischer und ein pragmatischer – beobachten, deren Aufeinandertreffen den öffentlichen Debatten Russlands erstmals wieder gewisse Brisanz verleiht: Zwar erfüllt das von der Präsidialadministration der
letzten Jahre lancierte dualistische Weltbild – die einfältig-guten, um ihre „Unabhängigkeit“ ringenden Russen gegen den hinterlistig-imperialistischen Westen – wichtige Legitimationsfunktionen für den „harten“ Kurs des „wiedererstarkenden“ Russlands unter seinem neuen Präsidenten. Doch öffnet der offiziöse Verfolgungswahn Tür und Tor für radikale Schlussfolgerungen. Da das amerikanische Gesellschaftsmodell als Gegenbild der russischen Zivilisation erscheint, kann es nicht verwundern, wenn jugendliche Schlägertrupps auf ihre Weise die „Amerikanisierung“ der russischen Gesellschaft zu verhindern suchen. Die damit verbundene Beschädigung des internationalen Images der Russen ist wiederum unvereinbar mit den ebenfalls starken Bestrebungen, Russland als geachteten Partner der westlichen Staaten zu etablieren. Zudem scheint es in der Kremlführung Überlegungen zu geben, dem rasant fortschreitenden Schwund der Bevölkerung der RF durch großangelegte Immigration zu begegnen, was neuen Zündstoff liefern würde. Letztlich widersprechen der fanatische Antiamerikanismus und die radikal proiranische Position von Dugin & Co. den sicherheitspolitischen Kalkulationen des Kremls und seinen Bemühungen, sich gleichberechtigt in die internationale Koalition gegen islamistischen Terror einzureihen. Diese und ähnliche Herausforderungen der kommenden Jahre verleihen dem – zumindest teilweisen – Machtwechsel im Jahr 2008 zusätzliche Brisanz.

Redaktion: Hans-Henning Schröder

Über den Autor
Dr. Andreas Umland ist DAAD-Lektor an der Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität Kiew.


Bron: Russlandanalysen